Ein Jahr Selbstbestimmungsgesetz SBGG

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Fortschritt, der Mut macht – aber noch nicht ausreicht

Am 1. November 2024 trat das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft – ein historischer Moment für trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen (TIN) in Deutschland. Jahrzehntelang bestimmte das diskriminierende Transsexuellengesetz ihr Leben. Jetzt können Betroffene endlich ihren Geschlechtseintrag und Namen selbstbestimmt ändern – ohne Gutachten, ohne Demütigungen, ohne Fremdbestimmung. Doch ein Jahr nach Inkrafttreten zeigt sich: Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt, aber noch kein Ziel.

Mehr Selbstbestimmung – aber nicht für alle

Das SBGG hat vieles verbessert, doch es gibt weiterhin Hürden:

    • Eingeschränkter Zugang: Nur Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder einem unbefristeten Aufenthaltstitel können das Gesetz nutzen. Wer unsichereren Status hat, bleibt außen vor.
    • Misstrauensvorschriften: Anmelde- und Sperrfristen unterstellen Betroffenen, sich ihrer Entscheidung nicht sicher zu sein – ein Relikt aus der Zeit der Pathologisierung.
    • Ausnahmeklauseln: Selbst im Verteidigungsfall kann die Selbstbestimmung eingeschränkt werden. Doch echte Gleichberechtigung kennt keine Ausnahmen.

Das SBGG war überfällig – aber es ist kein Abschluss, sondern ein Aufbruch. Es muss weiterentwickelt werden, hin zu einer Gesellschaft, die geschlechtliche Vielfalt ohne Wenn und Aber anerkennt.

Künstliche Konflikte: Warum die Debatte um „Schutz“ irreführend ist

Im Gesetzgebungsprozess wurde immer wieder ein angeblicher Widerspruch zwischen Selbstbestimmung und dem Schutz von Frauen und Kindern konstruiert. Doch die Fakten widerlegen diese Narrative:

    • Internationale Erfahrungen: In 16 Ländern gibt es Selbstbestimmungsgesetze – nirgendwo führten sie zu systematischen Problemen.
    • Politische Schwerpunktsetzung: Die geplante Evaluation bis 2026 konzentriert sich einseitig auf „Risiken“ für Frauen und Kinder – obwohl das Gesetz selbst eine menschenrechtsbasierte Prüfung nach fünf Jahren vorsieht.

Eine Evaluation muss sich an den Grundrechten orientieren, nicht an Vorurteilen. Nur so kann das Gesetz weiter verbessert werden – im Sinne aller, die von Diskriminierung betroffen sind.

Das Gesetz wirkt: Erleichterung, Sicherheit, Zugehörigkeit

Trotz aller Kritik: Das SBGG funktioniert – und es verändert Leben.

    • Unbürokratisch und respektvoll: Erfahrungsberichte auf sbgg.info zeigen, dass die Umsetzung in der Praxis gut läuft. Betroffene berichten von Erleichterung, mehr Sicherheit und einem neuen Gefühl der Zugehörigkeit.
    • Vertrauen in den Staat: Das Gesetz stärkt das Bewusstsein, dass Grundrechte für alle gelten – nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag.
    • Gesellschaftliche Signalwirkung: Es ist ein Zeichen demokratischer Reife, wenn Vielfalt nicht nur geduldet, sondern aktiv geschützt wird.

Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht – und das SBGG macht sie endlich erlebbar.

Fazit: Ein Gesetz, das uns alle stärkt

Das Selbstbestimmungsgesetz hat einen diskriminierenden Zustand beendet. Es verankert den Grundsatz: Jeder Mensch bestimmt selbst über seine Identität. Das stärkt die Gesellschaft als Ganzes.

Wir alle können stolz auf das Erreichte sein. Das Selbstbestimmungsgesetz ist kein Zufall, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe, unzähliger Gespräche und eines unermüdlichen Einsatzes für Gerechtigkeit.

Hinter diesem Gesetz stehen Menschen, die sich trotz Anfeindungen Gehör verschafft haben; Beratungsstellen, die Betroffene durch bürokratische Hürden begleitet haben; Juristen, die juristische Lücken aufgedeckt und geschlossen haben; und unzählige Verbündete, die in Workshops, Podiumsdiskussionen und sozialen Medien für Sichtbarkeit und Verständnis gekämpft haben.

Es sind die Geschichten derer, die nicht mehr schweigen wollten – die sich gegen Pathologisierung, gegen Fremdbestimmung, gegen das Unsichtbarmachen gewehrt haben. Es sind die Stimmen derer, die in Parlamenten, auf der Straße und in den Medien immer wieder gefragt haben: „Warum darf ich nicht selbst über mich bestimmen?“

Und es ist der Beweis, dass gesellschaftlicher Wandel möglich ist – wenn Menschen zusammenstehen, wenn sie sich gegenseitig stärken und wenn sie nicht aufgeben, auch wenn der Weg steinig ist.

Doch die Arbeit ist nicht vorbei!

Es braucht weitere Reformen, um Selbstbestimmung ohne Einschränkungen zu verwirklichen. Ein Jahr SBGG zeigt: Fortschritt ist möglich – aber er muss weitergehen.

Was denkst du? Wie erlebst du das Selbstbestimmungsgesetz – als Betroffene, Verbündete oder Beobachter? Teile deine Perspektive, z.B. im Forum.